Der nächste Morgen beginnt mit einem beeindruckenden Sonnenaufgang:
Ich komme letztlich - wie üblich - als letzter los, trotzdem werfe ich noch lange Schatten, es wird eben langsam Herbst:
Nach wenigen Kilometern taleinwärts geht die Teerstraße hinter Pian Melezé auf ca. 1.800 Metern in einen Maultierweg über und der (nicht existente) Verkehr ist damit endgültig passé.
Der riesige Felsbrocken, der wie an den Nordhang geklebt aussieht und eine daran gebaute Hütte wie Spielzeug in der Dimension erscheinen läßt, ist wahrlich beeindruckend. Der Legende nach, soll Gott selbst ihn im Clinch mit dem Teufel an diese Stelle geschleudert haben. - Nun, er wird ja dann nicht gerade beim "Godfather" sisyphosesk herunterrollen.
Im weiteren Verlauf steigt der Weg im Bereich der Alpe Malbuiset in einem Kessel etwas steiler an, das Tal verzweigt sich quasi: Ein breiteres Tal geht nach Norden, ein schmäleres zweigt steiler nach Südwesten ab, doch bevor ich an die Abzweigung komme, ist die Aufregung plötzlich groß: Schreie, Winken, ein zurück rennender Badenser.
Ich treffe auf ihn, als er gerade vor einer Almhütte beginnt, der sehr alten Sennerin mit Händen und Füßen ein Problem zu schildern und immer wieder nach oben, entlang des Weges deutet.
Schließlich gehen wir zu dritt - die alte Frau mehr schlecht als recht auf einen Stock gestützt zum oberen Bereich der Alm.
Dort ist sofort das wahre Ausmaß des Schlamassels zu begutachten:
Die Kuh hat einen Betonmischkübel samt Motor aus der Halterung gerissen, wird ihn nun nicht mehr los und immer wenn sie wieder etwas zu Kräften gekommen ist, reagiert sie panisch, blind Zäune niederreißend, Artgenossen umstoßend und uns Menschen drumherum potentiell gefährdend.
Da der Gewicht des Motors und vor allen die Gesetze des langen Hebels EXTREM gegen das arme Tier sprechen, hat sie jeweils nach wenigen Bewegungen genug und knallt mit dem Metallkübel auf den Boden. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um das Genick des armen Wesens !
Kühe sind eben manchmal Rundviecher - man kann es nicht anders sagen und ich habe es ja bereits an anderer Stelle hier im Blog feststellen müssen.
Bereits als Kind trichterte man uns ein: Man sollte seinen Nase nicht in Sachen stecken, die einen schlicht nichts angehen. Gar nix. Und die Hörner sollte man außerdem komplett aus der Sache rauslassen.
Was also tun ?
Wir trauen uns nicht an das panische und völlig unberechenbare Tier heran. Die alte Damen versucht auf den Stock gestützt und unter gut zureden mit einer Hand den Kübel vom Kopf zu ziehen. Natürlich vergeblich, ein Horn steckt ja drin und verkantet in Zusammenspiel mit dem Rindviehkopf in der engen Kübelöffnung.
Der Mann des Hauses muß her. Die Dame hat kein Telefon parat, aber die Mobilnummer faszinierenderweise im Kopf parat. Leider haben wir sehr schlechtes Netz und erreichen den Mann nicht wirklich. Aus der Ferne sehen wir ihn aber nun unten am Haus ankommen.
Wir rufen, winken, schreien, aber all unsere Bemühungen verpuffen ungehört.
Jetzt kommt die Stunde meiner Notfall-Pfeife: Nahezu augenblicklich wird der Mann auf uns aufmerksam und eilt heran. Zu zweit schaffen sie es nach einer Weile, die arme Kuh vom Kübel auf dem Kopf zu befreien.
Nun, ob die Gute etwas daraus gelernt hat, kann ich nicht sagen, ich habe aber auch schon von ernsthaft Berg-untauglichen Exemplaren gehört, die vom Hubschrauber 2x aus dem gleichen Felsspalt befreit werden mußten, wo sie sich hoffnungslos verkeilt hatten ...
Nach der Aufregung machen wir glorreichen Sieben uns auf den weiteren Weg: Über einen Pfad geht es am Hang in einer kleinen Schlucht durch die Engstelle und bergauf, bevor sich das Tal erneut weitet.
Auf über 2.500 Metern stehen hier Anfang September noch die Kühe. Bis zum Almabtrieb kann es aber nicht mehr lange dauern.
Bevor es in den letzten Anstieg des Tages geht, mache ich noch ausgiebig Pause, wobei die anderen an mir vorbeiziehen und sich an den Aufstieg machen.
Der Gipfelkamm der Nordostflanke des Hochtals wird von der französischen Grenze und etliche 3.000er-Gipfel markiert, wir steigen aber nach Süden auf zum höchsten Punkt der ganzen GTA: Auf 2.804 Metern liegt der Colle die Bellino und ich stehe auch bald oben, um die Aussicht zu genießen:
Während des Aufstiegs waren direkt am Weg die Reste gesprengter Bunker zu sehen, ein Übergang im Südosten ist auch befestigt und der Fels im Hintergrund des Fotos ist komplett mit Befestigungen durchsetzt.
Ich überlege, die Stirnlampe heraus zu suchen, um den Lost Place genauer zu untersuchen, allerdings sieht das Wetter im Süden nicht so optimal aus, weshalb ich mich entschließe, mich lieber von dannen zu machen.
Christine schließt sich mir an und so gehen wir eine Weile gemeinsam. Die Pforzheimer verbleiben noch etwas am zugigen Übergang, während die 4 Jungs aus Baden von Ihrem Gipfel im Osten erst wieder absteigen müssen.
Im Abstieg sehen wir dann einerseits riesige Staubwolken: wie in der Prärie staubt es, wo hunderte an weißen Rindern ins Tal getrieben werden (aus der Ferne hätte man die Masse fast für Schafe halten können), andererseits fesseln bei einer Pause Murmeltierbeobachtungen. Gerade das immer wieder neugierige, aus dem Bau kommende Jungtier macht es Spaß ausgiebig zu beobachten.
Auf der Rückseite eines Wegweisers finde ich auch Spuren eines anderen Alpen-ÜberQUERers des Jahres 2014 (von Ljubljana nach Nizza), der allerdings politische Motive hat, wo ich doch einfach nur ein wenig Urlaub mache und Kopf und Körper frei bekomme: NoBorderTrek
Kurz vor dem Rifugio Campo Base steht dann noch ein Auto aus der Heimat am Straßenrand mit dem Kennzeichen N-IR 6666.
Da habe ich ja nochmal Glück gehabt: Eine "6" zu viel für den Teufel, dessen Weg sich ja in den Dolomiten befindet und von "Nur Im Regen" kann an diesem Tag letztlich auch nicht die Rede sein, denn es bleibt - wider Erwarten - komplett trocken.
Das große 8-Zimmer teile ich mir mit nur einer weiteren Wanderin aus Lothringen, die sehr gut Deutsch spricht.
Von Christine, Susanne und Eberhard, die mich nun ja eine ganze Weile begleitet hatten, und auch von den vier Jungs aus Baden heißt es heute langsam Abschied nehmen:
Ich hatte mir zu Beginn meines Sommer-Spaziergangs für das Ende zwei Optionen offen gelassen: Der GTA bzw. der Route der Roten Via Alpina östlich des Alpen-Hauptkammes auf italienischem Gebiet weiter zu folgen und erst kurz vor Monaco die Grenze nach Frankreich zu überschreiten oder kurz nach Campo Base auf der Blauen Via Alpina nach Frankreich hinüber zu wechseln und westlich etwas direkter gen Süden auf das Meer und Monaco zu zu gehen.
Diese strategische Frage hatte ich mir bereits vor einiger Zeit zugunsten Frankreichs und der Bodenkontrolle zu Hause (durch etwas frühere Rückkehr) entschieden.
Da die anderen sieben der GTA weiter ins bekannte Valle Maira folgen, werde ich sie also morgen alleine weiterziehen lassen ...
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