Sonntag, 14. September 2014

Tag 087: Rettungsaktionen

Heute stand wieder eine typische GTA-Etappe auf dem Plan: Gleich nach dem Abmarsch von der Alpe Toglie ging es schrittweise 1.000 Höhenmeter zum Colle dell'Osiera bergauf.
Zuerst noch durch den lichter werdenden Wald, dann jenseits der Baumgrenze über Gras-/Weideflächen, wo wir kurz nach dem Bivacco Orsiera (auf 1.931m) auch eine riesige Herde mit mehreren Hundert Tieren einer speziellen Kuh-Sorte mit einheitlich hellem Fell beim Abtrieb beobachten konnten. Hier gibt es dann zur einmonatigen Veilchen-Blütezeit einen speziellen Käse mit besonderem Aroma: Den Plaisentif, eine Rarität aus dem Val Chisone.
Nun, (kalter) Käse ist ja eher nicht so meine Sache, aber so ein Rind auf dem Teller ... ;-)

Das Gelände ist erst immer mal etwas gestuft und so kann man auch mal in aller Ruhe einen Blick zurück werfen, wo im Hintergrund einmal mehr der dominierende Rocciamelone ins Auge sticht.


Letztlich wird das Gelände felsiger und ich mache zusammen mit den Pforzheimern auf einer der letzten Wiesen gemütlich Rast, die Schweizer sind auch nicht weit. Wir bemerken, daß in schrofigem Gelände abseits des Weges irgendetwas im Gange ist. Die bunten Jacken einiger Leute können wir gut erkennen, uns ist nur erst nicht klar, was da eigentlich los ist.
Ein Rettungseinsatz kann es eigentlich kaum sein, denn es herrscht bestes Flugwetter und der schwierig zu erreichende Steilhang auf knapp 2.500 Meter Höhe wäre prädestiniert für Heli-Einsatz.


Am (einmal mehr kriegerisch befestigten) Übergang wissen wir dank Fernglas aus dem Rucksack von Andreas und insbesondere der Super-Zoom-Kamera von Susanne mehr:
Ein Hund (vermutlich eines einheimischen Jägers) ist augenscheinlich abgestürzt und wird nun aufwändig von mehreren Leuten der Bergrettung über mindestens zwei Seillängen Abseilen aus dem schwierigen Gelände geholt.
Hoffentlich hat er das ganze gut überstanden !


Evtl. waren Hund und Herrchen auf Gamsjagd. Hier oben gibt es richtig große Herden, die teilweise in sehr heterogener Zusammensetzung durch das Gelände springen. Es ist schon faszinierend, wie Gelände-gängig diese Bergziegen mit ihrem "Allrad"-Antrieb und eingebautem Stabilisationsprogrmam sind ...


Ich begebe mich als Erster in den Abstieg, denn es hat mittlerweile etwas zugezogen und am Übergang ist es Lage-bedingt auch recht windig.

Im Wiesenbereich sehe ich dann das erste Warnschild, wovon im weiteren Verlauf bis kurz vor das Mittelmeer noch so viele folgen werden:


Es wird vor den (Herden-)Hunden gewarnt, die hier mit den Schafen leben. Das sind keine Hüte-Hunde, die nach Kommando eines Schäfers die Schafe treiben, sondern Schutz-Hunde, die die Schafe vor Wölfen und ähnlichem beschützen sollen.
Das funktioniert seit Jahrhunderten und man ist auf diese alte Tradition mit bestimmten Rassen zurück gekommen, in dem die Hunde bereits als Welpen zu den Schafen gegeben werden und mit diesen aufwachsen. Sie fühlen sich quasi wie ein Schaf und bauen enge Bindungen zu diesen auf. Als weiße Fellknäuel sehen sie ihren "Kumpels" von der Wiederkäuer-Fraktion sogar recht ähnlich - sie können nur kraftvoller zubeißen ;-)
Im Ernst: Man sollte es tunlichst vermeiden IN eine Schafherde einzudringen. Das finden die Herden-Hunde nämlich überhaupt nicht lustig.
Ich werde Jahre später eine Fernseh-Dokumentation gesehen haben, wo ein Wolf nachts versucht, Schafe einer Herde im italienisch-französischen Grenzgebiet auf alpinen Weideflächen zu erbeuten. Das Filmteam hat diese sehr seltenen Aufnahmen aus der Ferne von oben mit einer Wärmebildkamera aufgezeichnet.
Es ist faszinierend:
Der Wolf nähert sich der Herde. Es bildet sich eine Delle in der zuvor Kreis-runden Herde, durch vom Jäger zurückweichende Schafe. Plötzlich ein weißer Punkt, der nicht zurückweicht, sondern sich dem Wolf entgegenstellt. Kurz danach drei weitere einzelne Leuchtpunkte außerhalb des homogenen Schafblocks im Halbkreis vor dem dem Wolf. Dann beginnen sie den Wolf anzugreifen und in die Flucht zu schlagen. Die Hunde haben keinen weiteren Jagdtrieb, sobald der Feind in die Flucht geschlagen ist, verschwinden sie wieder in Ihrer Schafherde.
Auch in Südost-Deutschland (Bayern) werden mittlerweile teilweise wieder Herdenschutzhunde gezüchtet, trainiert und mit alleine grasenden Schafherden eingesetzt. Wirksamer als jeder Elektrozaun mit ca. 1.000,- EUR pro Hund pro Jahr für Erwerb, Ausbildung, Futter, Tierarzt, usw. aber auch nicht ganz billig. Aber den Preis wert und ein (gesundes) Zusammenleben mit Groß-Jägern (Wolf, Luchs, Bär, ...) ermöglichend, die in Europa nun dankenswerter Weise auch wieder größere Verbreitung finden.

Der weitere Abstieg zieht sich erst etwas, zwischenzeitlich tröpfelt es gar mal kurz, aber an sich bleibt das Wetter stabil. In Richtung Usseaux - dem heutigen Tagesziel - gilt es zwischenzeitlich noch auf schmalen Pfaden den Hang entlang, vorbei an kleineren Weilern, erneut ordentlich aufzusteigen, bevor es in den Ort hinab geht.
Immer wieder im Blick kommen Teile des Forte Fenestrelle, der sog. "Chinesischen Mauer" der Alpen: Einen ganzen Hang hoch ziehen sich hier Festungsgebäude an einer Felsrippe entlang. 4.000 überdachte und 2.500 außen liegende Treppenstufen verbinden auf insgesamt 3 km Länge und 635 Hm die einzelnen Bastionen. Leider ist die Fortifikation zu weit für gute Fotos entfernt und die nächtliche Beleuchtung durch die Wolken aus dem Ort nicht sichtbar. Einen Pausentag mag ich dafür aber auch nicht investieren, auch wenn einem dies der GTA-Wanderführer nahe legt.

In Usseaux - offiziell zu den schönsten Orten Italiens zählend - bewundere ich beim Schlendern durch die urigen Gässchen und der Suche nach meiner heutigen Unterkunft schon mal einige der sog. "Murales" - das sind lebensechte Wandgemälde, die häufig Berufe darstellen und auch in den kommenden beiden Tagen in den Orten am Weg sehr sehenswert sein werden.
Letztlich muß die Unterkunft in diesem Schnitzladen sein, denke ich mir. Das "Pzit Rei" ist das krasse Gegenteil zum Vortag: Urgemütlich. Super-nette, sich kümmernde Leute. Atmosphäre. Lese-Zimmer. Tolles Essen ...
Und es hat eine Besonderheit, die ich gleich heraushöre (und mir ein Schmunzeln nicht verkneifen kann ;-): Der Besitzer heißt mich herzlich willkommen, zeigt mir alles und instruiert mich, wo und wann es Essen gibt. Und er betont, daß es um eine bestimmte Zeit Abendessen gibt. GENAU um diese Zeit. PUNKT GENAU. Seine Frau sei Schweizerin.
Nun, für ihn als Italiener war das wohl eine harte Schule. Für unsereins kein Problem pünktlich, hungrig, in Hausschuhen, mit sauberen Pfoten an der langen Tafel im urigen eingerichteten Speisesaal (mit Klavier) zu erscheinen.
Mensch, lassen wir es uns hier gut gehen ...




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